« Sammlung Prinzhorn » – Kunst zwischen Wahn und Sinn





Einleitung: Die Klingebiel-Zelle



Klingebiels Zelle
Eine Rauminstallation mit illustrierter Literatur geht aktuell durch die Medien (3sat, NDR usw.). Künstler wider Willen ist der verstorbene Julius Klingebiel (1904-1965), gelernter Schlosser, jedoch wegen häuslicher Gewalt an Frau und Stiefsohn 1939 als "gefährlicher Geisteskranker" verhaftet und in die Nervenklinik Hannover eingewiesen.

Eine ärztlich angeordnete Zwangssterilisierung des Patienten Klingebiel wird durchgeführt und er wird den Rest seines noch 36 Jahre andauernden Lebens in psychiatrischer Einzelhaft in diversen geschlossenen Heil- und Pflegeanstalten verbringen.


Julius Klingebiel in seiner Zelle (um 1955)
Nach fast zehnjährigem Aufenthalt im Landesverwahrungshaus Göttingen beginnt er, laut Aufzeichnungen, etwa in den 50er Jahren, Teile der Wände seiner Zelle zu bemalen. Zunächst mit improvisiertem Werkzeug wie verkohltem Holz oder Steinen, angeblich auch mit Zahnpasta-untermischter Erde. Man lässt ihn frei arbeiten, da er in diesen Kreativ-Phasen ruhiger ist - später gibt man ihm sogar Dispersionsfarbe für sein Vorhaben.


10 Jahre lässt man ihm gänzlich freie Hand beim Bemalen seiner Zellenwände, jedoch findet diese Beschäftigung ein jähes Ende als sene Medikamente umgestellt werden und dieser Umstand es ihm verbietet wie gewohnt zu malen... Schon kurz darauf wird er aus seiner Einzelzelle, die zum Teil von vielfach übermalten und akribisch korrigierten Motive geschmückt ist, in einen anderen Bereich der Psychiatrie verlegt. Sein Zustand verschlechtert sich und Klingebiel verstirbt schon etwa 5 Jahre später.

Klingebiels Zelle
Was zurückbleibt ist die ungenutzte Zelle, die handgemalten "Fresken" sowie unzählige Photographien und Momentaufnahmen und seit diesem Jahr 2013 nun auch eine Rauminstallation - eine originalgetreue, frei zugängliche Reproduktion der Zelle Klingebiels. Das weltweit einmalige, originale "Kunstwerk" steht mittlerweile unter Denkmalschutz und ist für die Öffentlichkeit nicht weiter zugänglich[1] [2] 

Ganz neu ist diese Veröffentlichung allerdings nicht, wusste doch schon Hans Prinzhorn in den frühen 1920er Jahren um die diagnostische Wichtigkeit dieser kreativen Beschäftigungen aus geschlossenen Anstalten.

Die innere Welt der "Wahnsinnigen" ist eine Unbekannte, eine nicht greifbare "Realität". Trotz aller, bis ins 19. Jahrhundert reichenden Versuche um "Geisteskranke" und ihren Wahnsinn therapeutisch oder medikamentös zum Schweigen zu bringen, schafften es viele Patienten irgendwie ihre Erfahrungen zu hinterlassen.

Diese bildhaften Schilderungen, von visualisierten emotionalen Zustände und illustriertem Wahnsinn, in künstlerischer Ausdrucksweise wurden von Prinzhorn archiviert - nicht etwa um zu verstehen wie der Wahnsinn funktioniert, sondern was ihn auslöst und was noch wichtiger ist, wie der leidende Kranke es schafft mit dem Wahn zu Leben.

Die Sammlung Prinzhorn


Die weltweit bedeutendste Sammlung bildnerischer und handwerklicher Kunstgegenstände von Psychiatrie-Patienten entstand Anfang der 1920er Jahre in Heidelberg durch Hans Prinzhorn (1886-1933), Kunsthistoriker und Assistenzarzt an der psychiatrischen Universitätsklinik zu Heidelberg.

Der Fokus von Prinzhorns Sammlung stand jedoch nicht wie heute betrachtet im künstlerischen Aspekt, sondern galt der Diagnose der Ursprünge des Wahnsinns. Prinzhorn ging somit neue Wege, denn die Psychiatrie-Patienten wurden früher bekanntermaßen noch verhaftet, mit Schlägen, Sturzbädern kalten Wassers, mit Fixierung oder Zwangsstehen therapiert.

Dem Wahn der Inhaftierten bewusst zu lauschen um sie und ihre Gedankenwelt möglicherweise besser oder überhaupt zu verstehen, schien beim damaligen Erkenntnisstand offenbar nicht sinnvoll.

Zur Zeit Prinzhorns Arbeit gehörten Gewaltanwendung und Isolation noch zum gängigen Klinik-Alltag. Hans Prinzhorn gilt in einer Zeit als eine psychosoziale Fürsorge noch eine Unbekannte war, vielleicht sogar als eine Art "Wegbereiter" einer späteren, moderneren Form der Psychotherapie: der Kunsttherapie.

Die entstandene Sammlung umfasst etwa heute etwa 5000 Werke von beeindruckender Kraft, extremer, schonungsloser Authentizität und nicht selten verwirrender Schönheit. Es sind Werke von Künstlern, die nie eine Kunsthochschule besucht haben und deren Bildung durchschnittlich gewesen sein dürfte. Bilder und Kunst-Handwerk von "Verrückten". [3]


Die archivierte Kunst ist bis heute Inspiration für viele, wie beispielsweise für die Komponistin Jocely Pook, die für einen symphonischen Liederzyklus einige Textpassagen von Agnes Richters autobiographisch-bestickter Anstaltskleidung vertonte und in ihrer Musik damit die "fremden Stimmen" im Bewusstsein der Wahnsinnigen andeutete. [5]

Auch in der Vergangenheit schon wurden die teils sehr ungewöhnlichen Werke vor allem von zahlreichen Surrealisten als Inspiration entdeckt, sprengen Sie doch das konventionelle Denken um das Erschaffen von Kunst und stellen dabei möglicherweise sogar eine Avantgarde dar.

An August Natterers, Max Ernsts, August Kletts, Hans Bellmers oder sogar Salvador Dalís Gemälden, Grafiken und/oder Skulpturen erkennt man durchaus Analogien zu den ausgefallenen Kunstgegenständen der Sammlung. [7] 

Therapeutische Kunst zwischen Wahnsinn & Klinik-Alltag


Prinzhorn blickte auf Zwangsstörungen von PatientInnen die den Verlust eines geliebten Partners nicht ertragen konnten. (Bild 1)

Auf Kunst von PatientInnen die von fremden Stimmen getrieben ihr eigenes Selbst nicht aufgeben wollten. (Bild 2)

Auf vermeintlich "übersinnliche" Wahrnehmungen die in Wort und Bild zu fassen versucht wurden. (Bild 3)

Auf den Wunsch das innere Chaos durch Systematik und pedantische Exaktheit umzukehren. (Bild 4)

Auf visuell manifestierte Wünsche nach "Erlösung"(Bild 5)

Auf tagebuchartige Illustrationen um dem sterilen und kalten Klinik-Alltag zu entkommen(Bild 6)





Die Sammlung Prinzhorn  - für mich ein Symbol dafür wie die menschliche Psyche offenbar auch imstande ist sich selbst zu "therapieren" oder zumindest das Leid am Wahnsinn erträglich zu gestalten, wenn die nötige Hilfe verwehrt bleibt oder nicht ausreicht um zu heilen.








“The lunatic, the lover and the poet are of imagination all compact” -William Shakespeare (1564-1616) Dramatiker, Lyriker, Schauspieler
“Great wits are sure to madness near allied”-John Dryden (1668-1698), Poet Laureate, Literaturkritiker
“Manche Störungen beinhalten die kreative Fähigkeit, assoziativ und unkonventionell zu denken” - Wolfgang Maier (derzeitiger Präsident der DGPPN)


[1] Quelle: http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Goettingen/Uebersicht/Psychiatriepatient-Julius-Klingebiel-Buch-und-neue-Rauminstallation
[2] Quelle: http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/harz/klingebiel119.html
[3] Quelle: http://prinzhorn.ukl-hd.de/index.php?id=14
[4] Quelle: http://www.3sat.de/page/?source=/ard/sendung/147846/index.html
[5] Quelle: http://www.theguardian.com/music/2012/nov/23/agnes-jacket-jocelyn-pook-hearing-voices
[6] Quelle: http://www.aerztezeitung.de/panorama/article/844227/outsider-kunst-tierische-wandmalerei-psychiatrie-patienten.html
[7] Quelle: http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/pressestelle/pressemappen/Einfuehrung.pdf


Anmerkung: 


Meinungen zur Person Prinzhorn sowie Details seiner raschen Archivierung seiner Sammlung habe ich zunächst außen vorgelassen, da ich mich in diesem Punkt noch nicht genug mit Dr. Hans Prinzhorn beschäftigt habe um mir ein Urteil bilden zu  können. Sämtliche Informationen stammen aus diversen Webnews und dem offiziellen Internetauftritt des Universitätsklinikums Heidelberg und aus anderen Webartikeln oder Publikationen. Das Thema beschäftigt mich weiterhin, denn allem Anschein nach war Prinzhorn möglicherweise (!) nicht nur der nationalsozialistischen Ideologie relativ nah, sondern sei angeblich auch nicht gerade zimperlich im Umgang mit Patienten und ihren selbst-therapeutischen Werken gewesen. 

Sollte dem wirklich so sein, ändert das natürlich einiges daran, wie ich die Präsentation der Sammlung empfinde und wie ich sie hier darstellen möchte.


Quelle: http://www.autonomes-zentrum.org/ai/texte/prinzhorn.htm

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